Urteil des BGH gegen die VG Wort
Neue Verteilungskämpfe?
Seit 1958 gibt es die VG Wort als gemeinsame Einrichtung von Autoren und Verlagen und fast ebenso lange – mehr als ein halbes Jahrhundert - hat ein Kompromiss gehalten, den die Beteiligten gefunden haben: Die Einnahmen werden zwischen Autoren und Verlagen nach einem festen Schlüssel verteilt, gleichgültig was in den Verlagsverträgen steht. Mit seinem Urteil vom 21. April 2016 (Aktenzeichen I ZR 198/13 – Verlegeranteil) hat der Bundesgerichtshof (BGH) diese alte Branchenregelung infrage gestellt, vielleicht sogar zerstört.
Bislang liegt nur eine Pressemitteilung des Gerichts vor, die Begründung des Urteils noch nicht. Erst anhand der Urteilsgründe wird sich aber seriös abschätzen lassen, wie weit die Entscheidung des I. Zivilsenats beim BGH in die Verteilungspraxis der VG Wort – ebenso übrigens in die der Gema und der VG Bild-Kunst – eingreift und generelle Änderungen erzwingt. Die Überschrift der Pressemitteilung spricht allerdings eine klare Sprache: „Keine pauschale Beteiligung von Verlagen an den Einnahmen der VG Wort“.
Entsprechend fallen die vorschnellen Reaktionen aus:
Der Verein freier Journalisten, der auch „Freischreiber“ heißt und sich weder um Tarifverträge noch Vergütungsregeln kümmern will, hat Dr. Martin Vogel, der dieses Urteil erstritten hat, den „Himmel-Preis“ verliehen. Man glaubt dort, das Geld, das bisher von der VG Wort an Verlage ausgeschüttet wurde, würde künftig die Einkommenssituation freier Journalisten aufbessern. Deshalb hat der Verein Vogel „für seinen uneigennützigen und kostenintensiven Einsatz für uns Urheber“ geehrt, weil – so meint und hofft „Freischreiber“ – dank seines Einsatzes die VG Wort „ihre Einnahmen nicht mehr an die Verleger ausschütten“ darf.
Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) moniert, dass eine „Finanzierungsquelle“ für die journalistische Aus- und Fortbildung „durch das BGH-Urteil zerstört worden“ sei, da die Zeitungsverlage die Ausschüttungen der VG Wort zweckgebunden dafür eingesetzt haben. Der Akademie Berufliche Bildung der deutschen Zeitungsverlage soll – so der BDZV – noch vor der Sommerpause die Liquidation drohen.
Der Börsenverein versteht das Urteil als „Verbot von VG-Wort-Ausschüttungen an Verlage“ und meint, das sei ein "schwerer Schlag für Verlagskultur in Deutschland", der „Insolvenzen im Verlagsbereich“ zur Folge haben könne. Man prüfe die Möglichkeit einer Verfassungsbeschwerde.
Und hinter der Ecke lauert schon der „Digitalverband“ Bitkom, also die Lobby der IT-Branche, mit der Forderung „Urheberrechtsabgaben auf den Prüfstand“, nachdem der BGH „grundlegende Probleme beim System der Urheberrechtsabgaben festgestellt“ habe. Wohin dieser Hase laufen könnte, hat man in Belgien gesehen: Hewlett Packard hat dort gegen die gesetzliche Verlegerbeteiligung geklagt, um die Zahlungen an die Verwertungsgesellschaft zu mindern – und vor dem EuGH Recht bekommen.
Die Reaktionen pendeln – interessengemäß – zwischen der Hoffnung auf mehr Geld bei manchen Urhebern, der Sorge um Unternehmen, die dem Verlegerverband angehören und der Spekulation, nun doch endlich mit Hilfe der Justiz die gehassten „Abgaben“ auf Geräte und Datenträger – also die Urhebervergütungen – loszuwerden. Das ganze Spektrum zwischen Hurra und Horror! Die größeren Urheberorganisationen (DJV und ver.di) warten übrigens lieber ab, was wirklich im Urteil des BGH steht. Das ist auch besser so.
Denn zunächst einmal bleibt festzuhalten, dass der BGH einen Rechtsstreit zwischen zwei Parteien entschieden hat. Der Kläger bekommt von der VG Wort das – „uneigennützig“, so die Freischreiber – geforderte Geld, soweit das OLG München seinen Anspruch für gerechtfertigt gehalten hat. Dabei sollte man auch bedenken, dass es sich hier um einen für Buchverlage recht speziellen Fall handelt: Es gibt keine Verlagsverträge zwischen dem Kläger und C.H.Beck über die fraglichen Werke, in denen der Aspekt von Ausschüttungen der VG Wort geklärt worden wäre.
Ob und wie die VG Wort die markige Überschrift „keine pauschale Beteiligung von Verlagen“ der BGH-Pressemitteilung generell, also für alle Wahrnehmungsberechtigten, umsetzen muss und wird, ist noch nicht ganz klar. Dazu wird man die Urteilsgründe kennen müssen.
Liest man allerdings mehr als die Überschrift der Pressemitteilung, kommen Zweifel, ob hinter all dem Lärm um das Urteil eine realistische Bewertung steht. Im Text heißt es nämlich: „Die Beklagte ist - so der Bundesgerichtshof - nicht berechtigt, einen pauschalen Betrag in Höhe von grundsätzlich der Hälfte ihrer Einnahmen an Verlage auszuschütten.“ Das könnte bedeuten, dass sich der BGH nur mit der Verlagsbeteiligung von 50 Prozent bei wissenschaftlichen Werken (um die ging es im Verfahren) auseinandergesetzt hat. Was das Urteil für die 30 prozentige Beteiligung bei anderen – speziell belletristischen und journalistischen – Werken bedeuten könnte, ist der Pressemitteilung nicht zu entnehmen.
Auch die weiteren Erläuterungen der Entscheidung relativieren die knackige Überschrift. In der Pressemitteilung wird zwar darauf verwiesen, dass den Verlagen originär keine Rechte zustehen, sondern den Urhebern. Dazu kommt aber auch der klare Hinweis, dass die entsprechenden Rechte von Urhebern durchaus an Verlage abgetreten werden können. Nur hat der BGH Zweifel, ob das auch wirklich geschieht: „Gesetzliche Vergütungsansprüche haben die Urheber den Verlegern jedenfalls nicht in einem Umfang wirksam abgetreten, der es rechtfertigen könnte, die Hälfte der Einnahmen an die Verlage auszuschütten.“ Und weiter: „Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte mit der Wahrnehmung der ihr von Verlegern eingeräumten Rechte oder übertragenen Ansprüche tatsächlich Einnahmen in einem Umfang erzielt, der es rechtfertigt, regelmäßig die Hälfte der Verteilungssumme an die Verleger auszuschütten.“
Ganz klar wird daraus nur, dass der BGH den Anteil von 50 Prozent der Einnahmen, den wissenschaftliche Verlage erhalten, für nicht gerechtfertigt hält. Andererseits scheint der BGH Verwertungsgesellschaften nicht generell verbieten zu wollen, Verlage zu beteiligen, wenn diese – von Urhebern abgetretene – Rechte und Ansprüche in die VG Wort einbringen und daraus „tatsächlich Einnahmen“ erzielt werden, die eine Beteiligung in der vorgesehenen Höhe rechtfertigen.
Die Pressemitteilung erklärt nicht, wie der BGH zu dem Ergebnis kommt, dass der Umfang der Rechte, welche die Verlage der VG Wort einräumen, und die daraus erzielten Einnahmen zu niedrig sind, um den Verlagsanteil von 50 Prozent zu rechtfertigen. Genau das ist aber die zentrale Frage: Wie muss nach Auffassung des Gerichts die VG Wort die Anteile von Autoren und Verlagen ermitteln? Ob das zu einem enormen Verwaltungsaufwand führt, weil jeder Verlagsvertrag geprüft werden muss, oder ob das Gericht andere Wege offen lässt, wird erst nach Bekanntgabe der Urteilsgründe abzuschätzen sein.
Aber das ist vorerst eher Spekulation. Die Pressemitteilungen des BGH sind zwar von hoher Qualität, aber ganz genau erschließt sich daraus naturgemäß der Inhalt von Urteilen nicht. Bleibt zu hoffen, dass wenigstens die Urteilsgründe Klarheit für die VG Wort – und andere Verwertungsgesellschaften – schaffen.
Fakt ist bislang nur: Der BGH hat mit seiner Entscheidung ein lange Zeit bestehendes System ins Rutschen gebracht. Ob es einstürzt, bleibt abzuwarten. Der Vorsitzende Richter des zuständigen ersten Senats, Wolfgang Büscher, sagte bei der Urteilsverkündung: „Damit ist eine jahrzehntelange Praxis der VG Wort hinfällig geworden“. Ob das auch wirtschaftlich sinnvoll ist, ließ er dahingestellt. Damit meinte er wohl, dass nun von der VG Wort etliche Millionen neu zu verteilen sind.
Die Folge sind mit Sicherheit neue Verteilungskämpfe in den betroffenen Branchen. Ob am Ende davon die Urheber profitieren, bleibt abzuwarten. Diejenigen, die sich das wegen der Entscheidung des BGH möglicherweise verlorene Geld anderweitig zurückholen wollen, haben sich längst zu Wort gemeldet: Für den Börsenverein meinte Matthias Ulmer schon anlässlich der Entscheidung des EuGH in Sachen HP ./. Reprobel, die Verlage würden „gezwungen sein, ihre Kalkulationen in jeder Beziehung anzupassen, auch was die Autorenvergütung betrifft“. Und der Verhandlungsführer der Zeitungsverleger Georg Wallraf redet seit langem davon, dass man Honorare und Gehälter von Journalisten nicht an die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung anpassen müsse, weil ja die Ausschüttungen der VG Wort künftig allein der Urheberseite zugute kämen.
Es sieht nicht so aus, als würde aus dem persönlichen Erfolg von Dr. Martin Vogel so ganz ohne Probleme auch einer für alle Urheber – jedenfalls nicht auf längere Sicht. Sicher ist nur, dass auf die VG Wort einiges an zusätzlichem Aufwand zukommt. | Wolfgang Schimmel
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TTIP & Co. verstoßen gegen Völkerrecht
Demokratie geht anders: Spätestens seit die EU-Kommission 2014 den Start einer offiziellen Bürgerinitiative gegen diverse Freihandelsabkommen mit Nordamerika und Kanada ablehnte, müssten europaweit ununterbrochen die Alarmglocken läuten – auch in den Kulturszenen.
Eine selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative „Stopp TTIP und CETA!“ unterstützen immerhin fast 1,3 Millionen Menschen in sieben EU-Staaten. Die Grünen haben Mitte Januar im Bundestag darauf hingewiesen, dass 97 Prozent der EU-Bevölkerung die Abkommen ablehnten. Die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen zwischen Wirtschaftsanhängern über TTIP & Co. aber gehen weiter. Die bayerische Politik reklamiert deren Sinn offen: „Bayern braucht Export als Wirtschaftsmotor“. Krach ist der Motor Bayerns.
Dagegen setzt auch der auf Ausgleich bedachte Deutsche Kulturrat das größte Zeichen, zu dem er fähig ist: Der UNESCO-Tag der Kulturellen Vielfalt wurde zum Aktionstag ausgerufen. Alle Bürger werden gebeten, am 21. Mai gegen die Abkommen „zu kämpfen“. Neben den Wirtschafts-, Sozial- und Umweltstandards steht die austarierte Kultur- und Förderpolitik in Europa zur Disposition.
Die Verhandlungen zu CETA seien „abgeschlossen“, sagte EU-Handelskommissarin Malmström am 23. Februar in Berlin. Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Kulturrats, weist inzwischen jedoch darauf hin, dass die UNESCO-Konvention keinen Schutz für die Kultur Europas biete, weil die USA dem Abkommen nicht beigetreten seien.
Mit juristisch nicht anfechtbaren Schiedsverfahren könnten die Amerikaner mit der Klage über Wettbewerbsverzerrung alle kulturellen Subventionen in Europa deregulieren. Private Schiedsgerichte seien ein „Systembruch des Völkerrechts“, stellt der ehemalige Bundesverfassungsrichter Prof. Siegfried Broß in einer Expertise der Böckler-Stiftung fest. Der SPD-Vorsitzende Gabriel bekundete im Beisein Malmströms in Berlin erneut seine Zustimmung zu den Abkommen. Vor geladenen Gästen im Haus der Wirtschaft und im Willy-Brandt-Haus schlug er einen Internationalen Gerichtshof anstelle der Schiedsverfahren vor. Das darf nicht das letzte Wort aus der SPD bleiben.| Burkhard Baltzer
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